Bei Studien, die sich mit dem Training bzw. Trainingsanpassungen auseinandersetzen, bleibt eine Untersuchungsgruppe meist außen vor. Frauen. Warum das so ist und ob Frauen im Trainingsprozess auf ihren Zyklus und/oder die Einnahme von oralen Verhütungsmitteln achten sollten, erfährst du hier.
work, work, work, work, work -Tim setzt sich sehr gewissenhaft mit dem anderen Geschlecht auseinander
Woran liegt das überhaupt, dass sich die meisten trainingswissenschaftlichen Studien eher mit Männern oder mit älteren (postmenopausalen) Frauen beschäftigen? Im Normalfall versuchen die Forscher alle möglichen Variablen, außer die zu Untersuchende (z.B. das Trainingsvolumen, die Trainingsfrequenz, die Proteinmenge etc.), gleich zu lassen und damit zu kontrollieren. Bei Frauen zwischen dem ~13 - 48 (+/- 3) Lebensjahr tritt jedoch etwas auf, was eventuell das Training und deren Effekte beeinflussen könnte, nämlich der Menstruationszyklus. Über etwa 28 Tage erlebst du, liebe Leserin, eine kleine hormonelle Achterbahnfahrt, die sich wie folgt beschreiben lässt (siehe Grafik 1):
Vom Eintritt der Blutung (Tag 1) bis zum Eisprung in der Mitte des Zyklus (~14/15 Tag) ist das Hormon Progesteron noch überwiegend im Tiefschlaf. Östrogen ist auf der anderen Seite nach der ersten Woche hellwach, viel vorhanden und aktiv. Diese ersten ~2 Wochen werden Follikelphase genannt. Die nachfolgenden ~2 Wochen (vom Eisprung bis zur Blutung) werden Lutealphase genannt und zeichnen sich durch viel Progesteron und relativ weniger Östrogen aus.
Das geschieht, wenn du regelmäßig die Pille nimmst
Eines vorab: Ob du die Pille nimmst oder nicht, ist selbstverständlich dir überlassen. Wir konzentrieren uns hier nur auf die Trainingsauswirkungen. Dass neben dem Sport andere Überlegungen bei deiner Wahl, ob Pille ja oder Pille nein, eine Rolle spielen, sollte klar sein.
Es gibt grundsätzlich verschiedene Arten von oral einzunehmenden Kontrazeptiva, die meist verschriebenen jedoch sind kombinierte monophasische Pillen. Die "aktiven" Pillen liefern täglich eine synthetische hergestellte Menge an Östrogen und Progesteron und werden üblicherweise an 21 aufeinanderfolgenden Tagen genommen und anschließend werden 7 Tage lang "inaktive" Pillen genommen, um eine Entzugsblutung zu provozieren und damit den natürlichen Menstruationszyklus zu imitieren.
Dabei wird die natürliche Fluktuation der Hormone, wie sie in der Grafik zu sehen ist, durch die Einnahme der Pille gestört. Da mit der Pille Hormone extern eingenommen werden, ist die interne Produktion von Östrogen und Progesteron unterdrückt.
Wie könnte sich dein Zyklus und die Einnahme der Pille auf das Training auswirken?
Sowohl für Östrogen, als auch für Progesteron, wurden Rezeptoren innerhalb der Skelettmuskulatur gefunden. Verschiedene Hormonkonzentrationen, verursacht durch deinen normalen Menstruationszyklus oder durch die Einnahme der Pille, könnten beeinflussen, wie die Trainingsreize dadurch verarbeitet werden bzw. was für Anpassungen daraus folgen.
Vorherige Untersuchungen konnten bereits zeigen, dass während der Lutealphase eine höhere Aminosäurenoxidation und Eiweißdegradation (beides Prozesse, die suboptimal für den Muskelaufbau sind), im Vergleich zur Follikelphase, stattfindet. Möglicherweise steigert das viele Progesteron in der Lutealphase also den Eiweißabbau, während das vermehrte Östrogen in der Follikelphase anabole Eigenschaften besitzt. Ebenso unklar ist zudem, ob bzw. wieviel die synthetischen Hormone durch Einnahme der Pille die Muskelkraft und auch Reparaturprozesse beeinflussen.
Grund genug also, den bisherigen Fragen mithilfe der bis dato veröffentlichten Literatur auf den Grund zu gehen.
Das sagt die Literatur
Die Forschergruppe um Belinda Thompson hat die relevante Literatur zur Beantwortung dieser Fragen herausgefiltert und in einer Studienübersicht qualitativ dargestellt. Insgesamt wurden 17 Studien, die den Suchkriterien entsprachen, ausgewertet. Die durchschnittliche Qualität der Studien wurde als moderat bis hoch eingestuft, was die Aussagekraft dieses Reviews erhöht.
Um zu wissen, in welcher Phase des Zyklus' sich die Teilnehmerinnen gerade befinden, ist es wichtig, dass in der Studie die Östrogen- und Progesteronlevel gemessen wurden, was leider nur bei 5 Studien erfolgte. Sieben weitere Studien haben ausschließlich die Östrogenlevel gemessen. 10 der 11 Studien mit Pillen-Nutzerinnen haben Informationen über die Zusammensetzung der Pille gegeben.
Was wurde gefunden?
Zuerst geht der Review auf die Auswirkungen der Menstruationszyklusphase und/oder der Kontrazeptiva auf akute (also unmittelbare) Trainingsreaktionen ein.
In zwei sehr hochwertigen Studien wurde untersucht, ob ein phasendifferenziertes Training (also Follikel vs. Lutealphase) bei natürlich menstruierenden Frauen bestimmte anabole Hormone besser anspricht. In beiden Studien zeigte ein Training in der Mitte der Lutealphase bessere Aktivität in den anabolen Hormonen als in der frühen Follikelphase. Ähnliche Ergebnisse konnten sich feststellen lassen, als nach genetischen Markern, die für den Muskelaufbau wichtig sind, gesucht wurde.
Beim Vergleich Pille vs. keine Pille in Bezug auf den durch Training induzierten Muskelschaden und nachfolgende Reparaturprozesse, lässt sich nur schwer ein klares Bild zeichnen. Zwar konnten ein paar Studien größere Muskelschäden in den Pillengruppen feststellen, jedoch wurde fast ausschließlich zu Zeiträumen (z.B. in der inaktiven Pillenphase) untersucht, in denen die endogenen (also im Körper eigenerzeugte) Östrogenlevel relativ niedrig waren.
Anschließend ist das Review auf die Auswirkungen der Menstruationszyklusphase und/oder der Kontrazeptiva auf chronische Anpassungen durch das Training eingegangen. Die Ergebnisse hier sind für uns interessanter, weil, auch wenn es logisch wäre, sich nicht immer akute Trainingsreaktionen auch in entsprechenden langfristigen Adaptionen widerspiegeln.
4 Studien haben ein Follikelphasentraining (d.h. öfter in der Follikelphase als in der Lutealphase trainiert) einem Lutealphasentraining gegenübergestellt. 3 der 4 Studien konnten hier bessere Ergebnisse in Kraft und/oder Muskulatur bei der Follikephasengruppe feststellen.
3 Studien untersuchten, ob es Unterschiede bei den Kraftzunahmen zwischen Pillen-Nutzerinnen und Nicht-Pillen-Nutzerinnen gab. Hier gibt es einen leichten Trend zu den Pillen-Nutzerinnen, vor allem wenn die Zusammensetzung der Pille berücksichtigt wurde. Es wurde eine deutlich größere Kraftsteigerung gefunden, wenn die Pille 30 mg des Wirkstoffes Ethinylestradiol besaß, im Gegensatz zu den Pillen, die nur 20 mg enthielten (hier war kein Unterschied zu den Frauen mit einem natürlichen Menstruationszyklus).
Kommen wir zu den ABERs...
Von den Autoren wird zurecht viel kritisches angemerkt. Beispielsweise, dass es "nur" 17 Studien in den Review schafften und diese mitunter relativ heterogen sind bzw. unterschiedliche Fragestellungen zu beantworten versuchten. Zum Teil gibt es auch konträre Studienergebnisse bei relativ ähnlichen Studien.
Konträr scheint auf den ersten Blick auch, dass die akuten Trainingsreaktionen in der Mitte der Lutealphase vielverspechend sind, die chronischen Kraft- und Muskelanpassungen hingegen mehr für ein Training in der Follikelphase sprechen. Hier muss jedoch auch kritisch konstatiert werden, dass nicht in der späten Follikelphase (wenn Östrogen am Höchsten wäre) getestet wurde, sondern zu Beginn der Phase, als sowohl die Östrogen-, als auch Progesteronlevel noch sehr niedrig waren.
Wie weiter oben bereits erwähnt, wurde auch nicht immer das Östrogen- und Progesteronlevel bestimmt, die Pillenzusammensetzung war nicht immer klar und es wurden bei einigen Studien Probandinnen mit einem natürlichen Menstruationszyklus und Pillen-Nutzerinnen der selben Gruppe zugewiesen.
Was muss ich also beim Training beachten?
Leider gibt es immer noch zu wenige Publikationen zu diesem Thema, sodass man keine Empfehlungen mit großer Sicherheit geben kann.
Die Einnahme der Pille wird deine Leistungen beim Sport sehr wahrscheinlich nicht einschränken. Je nach Pillenzusammensetzung eventuell sogar steigern.
Wenn du die Pille nicht nimmst, könnte es sich für dich lohnen deinen Fokus beim Krafttraining mehr auf die ersten zwei Wochen deines Zyklus' zu richten. Hier könntest du die Trainingsfrequenz und vielleicht auch Intensität ein wenig höher schrauben als in den zwei Wochen nach dem Eisprung. Allerdings musst du natürlich für dich entscheiden, ob sich dieser Prozess der intensiven Traininsplanung für dich als Freizeitathlet lohnt, wenn die Resultate nur marginal besser sind als würdest du darauf verzichten.
Natürlich halten dich auch bei diesem Thema weiterhin auf dem laufenden.
Wir hoffen, dass etwas für dich in diesem Artikel dabei war. Du hast aber noch so viele Fragen? Kein Problem. Die beantworten wir in unserem Podcast. Schreibe uns einfach unter mail@good-gains.de
Dein Goodgains-Team
The Effect of the Menstrual Cycle and Oral Contraceptives on Acute Responses and Chronic Adaptations to Resistance Training: A Systematic Review of the Literature (2019)
Methodological Recommendations for Menstrual Cycle Research in Sports
and Exercise (2019)
Wow, genau DAS habe ich mir echt immer gewünscht, da ich mir ziemlich lange dieselben Fragen gestellt habe. Natürlich merkt man, was der Körper einem sagt in den verschiedenen Stadien des Zyklus, aber ich freue mich echt mega, das einmal so schön wissenschaftlich aufgeschlüsselt von Euch zu lesen! Das gibt doch sehr viel Aufschluss und ich freue mich insgesamt darüber, dass das Thema schlichtweg mehr beleuchtet wurde. Die ganzen Infos helfen mir persönlich sehr viel weiter in meinem Training und sei es nur, dass man sie im Hinterkopf behält.
Ganz großen Dank für die tolle Arbeit! Nehmt Liebe <3