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AutorenbildGoodGains

Das Märchen der basischen Ernährung

Aktualisiert: 15. Feb. 2021

Auf diversen "Gesundheits"-Websites und in so manchem Youtube-Video oder Instagram-Beitrag wird die Wichtigkeit von basischer Ernährung angepriesen. Es wird dabei vor einer "Übersäuerung" des Körpers gewarnt. Wir wollen dir in diesem Artikel einen allgemeinen Überblick über den Säure-Basen-Haushalt verschaffen und klären, ob eine "basische" Ernährung sinnvoll ist.


Einst lebten die Lebensmittel im Königreich Goodgainia zusammen in Frieden und Harmonie. Unter der weisen Herrschaft des Königs Tim von Pubmedburg erblühte das Land und jeder Bürger war den anderen gleichgestellt. Zu Unruhen kam es höchstens am Königshof, denn die beiden Töchter des Königs, Gina und Jonasine, waren von Zeit zu Zeit hungrig nach Unterhaltung und Aufmerksamkeit.

Jonasine litt unter schwerem ADHS und rannte den ganzen Tag lang die unzähligen Treppenstufen des Schlosses von Goodgainia auf und ab, wobei die Dienstboten stets Acht geben mussten, um einen Zusammenprall zu vermeiden. Unter dem Volk ging das Gerücht um, sie wäre einst von einer Ayurveda-Hexe verflucht worden. Doch der wahrscheinlichere Grund für ihre immerzu zappelnden Füße war wohl der Cocastrauch im Palastgarten, von welchem die wilde Jonasine nur zu gerne naschte.

Ihre jüngere Schwester Gina wurde einst von König Tim adoptiert. Bei einer Expedition in ein unbekanntes Land, welche der König höchstpersönlich anführte, suchte die Reisegruppe in einem ärmlichen Dorf nach einer Unterkunft. Dort fand Tim das schwerstübergewichtige Mädchen in einer dunklen Seitenstraße sitzend, umringt von einheimischen Kindern und Fremden. Hier verdiente Gina ihren Lebensunterhalt damit, Reisenden bei einer Wette, wer zuerst 100 Maki-Sushi verdrücken könne, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Den König ergriff beim Anblick des adipösen Mädchens das Mitleid und er nahm sie mit in sein Schloss, wo er sie Klimmzüge und intermittierendes Fasten lehrte. In ihrer Freizeit amüsierte sich die dicke Gina damit, den gebeutelten und depressiven Hofnarren Lukas mit Erdnüssen zu bewerfen.

Gina hat eine ganz klare Meinung zur „Übersäuerung"

Dunkle Zeiten brechen an

Eines regnerischen Tages kam es im Turm des dunklen Zauberers Hay zu einem unheilvollen Erwachen. Einst hatte der König den Zauberer verurteilt und in Ketten legen lassen, da dieser sich unter anderem offen gegen Impfungen ausgesprochen hatte. Doch die letzten Jahrzehnte der Gefangenschaft hatte der Zauberer an seinem finsteren Plan gefeilt und so schlich er sich nach seinem Ausbruch verkleidet als weißer Zauberer unter das Volk. Er verbreitete Gerüchte über eine drohende Übersäuerung, welche die Ursache aller Zivilisationskrankheiten sei und den Untergang des Königreiches herbeiführen solle. Die Bürger von Goodgainia waren nun verunsichert und wandten sich in ihrer Verzweiflung an den Zauberer, um ihn um Rat zu bitten. Mit betörenden Worten erzählte er den Bewohnern, dass die nahende Übersäuerung nur durch eine Trennkost aufgehalten werden könne. Denn es gäbe drei Arten von Lebensmitteln. Die proteinreichen, welche säurebildend wirkten, die kohlenhydratreichen, welche basenbildend wirkten und die neutralen. Der Körper könne nicht Proteine und Kohlenhydrate gleichzeitig verdauen, so sollten diese in unterschiedliche Mahlzeiten aufgeteilt werden. Aber was ist mit den Hülsenfrüchten?" fragte ein Bürger, der geistesgegenwärtig mitgedacht hatte. Der Zauberer schleuderte ihm einen Blitz entgegen und verwandelte ihn zu einem Häufchen Asche. Somit traute sich niemand mehr, Gegenfragen zu stellen.

Prinzessin Gina verspeiste gerade ihre vierte Portion Fischstäbchen, als die Worte des Zauberers durch das Schlossfenster an ihr Ohr drangen. Sie starrte auf die wild verteilten Reste von Fisch und Panade auf ihrem Teller und sprang vor Schreck auf. Sie rannte geschwind und verwirrt in den Thronsaal. Vater, Vater", rief sie entsetzt, da draußen ist ein alter Mann und erzählt etwas von Trennkost und Übersäuerung!" Nur nicht so hastig!" , entgegnete ihr der König milde und bat beide Töchter, auf seinem muskulösen Schoß Platz zu nehmen. Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde", sprach er ernst. Ihr seid nun alt genug, um vom Säure-Basen-Haushalt zu erfahren." „Ladet alle Bürger in den Thronsaal ein! Sie sollen die Wahrheit erfahren, auf dass ihr Geist nicht vergiftet werde!"


König Tim, der Basische

So versammelte sich das Volk von Goodgainia im Thronsaal des Schlosses. Alle warteten gespannt auf die Worte, die der weise König zu teilen hatte. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass man euch vor der Übersäuerung gewarnt hat. Nun lasst mich euch den Säure-Basen-Haushalt erklären, sodass ihn auch der Pöbel verstehe." Und so begann der gebildete Monarch das Volk zu unterrichten:

„Wenn ihr die Nahrung gekaut und geschluckt habt, so landet sie über die Speiseröhre im Magen. Der Magensaft enthält unter anderem Salzsäure und das proteinspaltende Enzym Pepsin. Hier wird die Nahrung vorverdaut und einige mit der Nahrung aufgenommene Mikroorganismen werden durch den niedrigen pH-Wert abgetötet." „Was ist ein pH-Wert?", fragte die kleine Jonasine, während sie auf dem Schoß ihres Vaters zappelte. „Der pH-Wert, mein Kind" führte der König fort, „ist ein Maß für die Konzentration an Wasserstoff-Ionen. Ein Stoff mit einem pH-Wert von 7 ist neutral, über 7 ist er basisch (oder alkalisch genannt) und unter 7 ist er sauer. Im leeren Magen liegt zum Beispiel aufgrund der Salzsäure ein pH-Wert von 0,5 bis 2 vor." „Huiuiui, das klingt aber ganz schön gefährlich" sagte Gina, bevor sie ein ganzes Brathähnchen mit einem einzigen Happs verdrückte. „Du musst dir keine Sorgen machen. Der pH-Wert im Körper weist teilweise große Schwankungen auf. Im gefüllten Magen kann dieser auf 4 ansteigen. Im anschließenden Dünndarm wird der saure Speisebrei durch basische Hydrogencarbonat-Ionen aus der Bauchspeicheldrüse neutralisiert. In manchen Teilen des Körpers können allerdings schon kleinste Schwankungen des pH-Wertes lebensbedrohlich werden. Der pH-Wert des Blutes liegt zwischen 7,36 und 7,44. Wird der Wert unterschritten, spricht man von einer Azidose. Steigt der pH-Wert über 7,45 kommt es zu einer Alkalose. Um diese heikle Angelegenheit zu entschärfen, verfügt der Körper über verschiedene Puffersysteme. Durch die Anwesenheit eines Puffers wird die Wirkung einer Säure oder Base abgedämpft, sodass es nicht so leicht zu größeren Schwankungen kommt. Im Blut dienen Phosphat, Hämoglobin und Serumproteine (z.B. Albumin) als Puffer. Zudem gibt es das Bicarbonat-Kohlendioxid-Puffersystem, welches den Blut-pH-Wert durch vermehrtes/vermindertes Ausatmen von Kohlenstoffdioxid über die Lunge beeinflusst. Des Weiteren dient in der Leber die Produktion von Harnstoff als Abfallprodukt zur Erhaltung des pH-Werts. Zu guter Letzt scheiden die Nieren überschüssige Wasserstoff-Ionen aus. Dank dieser Puffersysteme müsst ihr keine Angst vor einer "Übersäuerung" haben." „Solange man gesunde Nieren und Leber besitzt", merkte die vorlaute Gina an.


"Aber was ist mit säurehaltigen Lebensmitteln?", rief einer aus der Menge „Belaste ich meinen Körper damit nicht unnötig?" „Das ist ein berechtigter Einwand", entgegnete der König, „doch lass dich durch die Worte des bösen Zauberers nicht verunsichern. Kaffee und Säfte kommen einem als erstes in den Sinn. Doch was sind ihre Säuren, im Vergleich zur Salzsäure des Magens? Und ich warne dich davor, Lebensmittel auf die enthaltenen Säuren zu reduzieren und zudem die Säuren gleichzustellen. Denn wer den Reden unseres Hofchemikers Wikipedius Beachtung geschenkt hat, weiß:

Eine schwache Säure ist zugleich eine starke Base

„Und was ist mit Purinen und schwefelhaltigen Aminosäuren?" fragte ein anderer aus der Menge. „Es ist wahr, dass beim Stoffwechsel von Cystein und Methionin Schwefelsäure anfällt und dass Purine zu Harnsäure abgebaut werden.", fuhr der König fort, „doch werden diese über die Nieren ausgeschieden. Und wenn euch vor lauter Fleisch und Kohl schon die Gicht heimgesucht hat, so ist die Übersäuerung ein kleines Übel.", lachte er herzlich. „Esst reichlich Obst und Gemüse und habt keine Furcht vor Getreide. Sollte euch dennoch das unheilige Sodbrennen heimsuchen, so suchet die Schuld nicht allein bei den Säuren! Auch Stress, allergische Reaktionen und Rauchen tragen dazu bei. Esst vor dem Hinlegen nicht zu fettig und zu viel. Teilt euch saure Säfte und kohlensäurehaltige Getränke ein. Zudem sollt ihr euren Durst nicht nur mit Kaffee stillen, sondern auch ein Glas Wasser zum Munde führen!".


Als der Zauberer, der sich unter die Menge gemischt hatte, die Worte des Königs vernahm, wurde er so zornig, dass er in einem Schwall von sauren Drops explodierte. So feierten alle und lebten alle glücklich bis an ihr Ende.


Und wenn sie nicht gestorben sind, haben sie sich wohl gesund ernährt.


Und die Moral von der Geschicht: leichtfertig verurteile man die Säuren nicht.

Glaub nicht alles, was im Internet steht (sagte er in einem Blog im Internet). Die Funktionsweisen des Körpers sind zu komplex und zu breit gefächert, als dass man einzelnen Lebensmitteln die Schuld für ganze Krankheitsbilder zuweisen könnte. Iss ausgewogen und so, dass du dich wohl fühlst. Wenn du tatsächlich chronische Beschwerden haben solltest, ist ein Artikel über basische Ernährung höchstwahrscheinlich weniger effektiv als ein Besuch beim Arzt.


Dein royales Goodgains-Team


PS: Wir hoffen, dass etwas für dich in diesem Artikel dabei war. Du hast aber noch so viele Fragen zum Training oder zu anderen Themen? Kein Problem. Die beantworten wir in unserem Podcast. Schreibe uns einfach unter mail@good-gains.de



Ernährungsmedizin; Biesalski H. K., Bischoff S., Pirlich M., Weimann A.; Thieme; 5. Auflage

Taschenatlas Ernährung; Biesalski H. K., Grimm P., Nowitzki-Grimm S.; Thieme; 7. Auflage

Der Körper des Menschen; Faller A., Schünke M.; Thieme; 16. Auflage

Taschenatlas Physiologie; Silbernagl S., Agamemnon D., Draguhn A., Thieme; 9. Auflage

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